Interview für den Antifa Kalender

Der diesjährie Antifa-Kalender hat aufgrund des Antifa-Ost Verfahrens als vorläufiger Gipfel, wie vorraussichtlicher Startpunkt lange unbekannter Repression gegen Antifaschist:innen das Schwerpunktthema Antifa in Ostdeutschland. Mit Freude durften wir dieses Jahr einen Text beisteuern.  Da in dem Interview auch etwas wie ein Selbstverständnis, wie auch mehr oder minder kluge analytische Versatzstücke auftauchen, welche wir für diskutierenswert halten, Kalender eine jährliche Halbwertszeit haben und wir es auch denen nicht vorenthalten wollen, die den falschen Kalender kaufen, wollen wir das Interview hier dokumentieren.

Kauft aber trotzdem Kalender, nicht nur wir, sondern auch unsere Genoss:innen aus Görlitz, Rostock, Zwickau oder Pirna haben ihre Gedanken zum besten gegeben!

Gerüchten zu Folge, kann man ihn auch bei der Antifa-Gruppe deines Vertrauens erwerben, politische Arbeit braucht Geld – act global, shop local….


Liebe Genoss*innen von Dissens die Landtagswahlen in Thüringen sind mehr als besorgniserregend. Der Nazi Björn Höcke liegt klar vorne. Hättet ihr diese Entwicklungen noch vor ein paar Jahren für möglich gehalten?

Analytisch hätte jeder Person eigentlich klar sein können, dass gerade eine Höcke-AfD dieses Potenzial problemlos erreichen kann. Hierfür muss man nicht mal irgendwelche ausgeklügelten Studien lesen – es hätte gereicht, sich ein paar Mal mit irgendwem auf der Straße zu unterhalten und sich ernsthaft auf diese Erfahrung einzulassen. Dass es nun sichtbar wird, liegt daran, dass die unterschiedlichen Strömungen der Extremen Rechten, von ehemaligen und neuen Nazis, Verschwörungsideolog*innen und rassistischen Kleinbürger*innen durch die Erfolgswelle ihrer Führerfigur geklammert werden. Man hofft natürlich trotzdem immer, dass es nicht so schlimm kommen mag, wie man es antizipiert, aber dass die Landesprogramme für Demokratie niemanden bekehren können, muss doch klar sein.

Sind Naziaktivitäten bei euch in der Region in den letzten Jahren wieder vermehrt bemerkbar?

Die Neonaziszene hat sich seit einigen Jahren gewandelt. Die klassischen Neonazikameradschaften und Parteien haben kaum noch eine Relevanz. Was nicht heißt, dass einige von ihnen nicht durch schwere Gewalttaten auffallen. Neben dieser punktuellen Gefahr rassistischer Gewalt befinden sich diese Strukturen weiter auf dem Rückzug in die Bedeutungslosigkeit. Das ist in Anbetracht der Vielfalt an Menschenfeind*innen, die Thüringen zu bieten hat, jedoch kein Grund zum Aufatmen. Die alten Netzwerke der Neonazis bestehen fort, aber die Angsträume funktionieren heute anders. Seltenst müssen sie noch durch sichtbare Straßengewalt durchgesetzt werden. Ressentiments werden zunehmend offen ausgelebt – in den Institutionen oder auf der Straße. Diese Gewalt ist kein spezifisches Problem in Thüringen oder dem Osten, sondern in verschiedenen Ausprägungen konstituierend für diese Gesellschaft.

Wie tief ist der organisierte Neonazismus in zivilgesellschaftliche Organisationen aber auch bei alltäglichen Dienstleistern vorgedrungen?

In vielen ostdeutschen Regionen gehörte es vor einigen Jahren dazu, dass in lokalen Vereinen, in der Feuerwehr oder der Verwaltung Neonazis akzeptiert wurden und zum Bild dazugehörten. Im ländlichen Raum ist das auch noch oft der Fall. Organisierter Neonazismus mag in Erfurt in diesen Sphären kein derartiges Problem darstellen. Einen wesentlich Faktor bilden hier eher ordninäre autoritäre Formierungen. Seit Jahren kritisieren antirassistische Initiativen die Erfurter Ausländerbehörde für ihren besonders widerlichen Umgang mit Geflüchteten. Die Stadtpolitik diskutiert regelmäßig neue Überwachungsmaßnahmen im öffentlichen Raum, Alkoholverbote und Verdränungsprozesse, damit die historische Altstadt denen vorbehalten ist, die das nötige Geld mitbringen. Hinzu kommen die alltäglichen Schikanen durch ein aufgerüstet Ordnungsamt in der Stadt, die Erklärung irgendwelcher Gefahrengebiete durch die Polizei und natürlich die Belästigung durch Arbeitsamt, Jobcenter und ähnlichen Institutionen. Die willige und autoritätshörige Vollstreckung einer rassistischen Asylpolitik, eine menschenfeindliche Durchsetzung des Arbeitsfetisch und eine autoritäre Stadtpolitik brauchen keine Neonazis in den Institutionen. Wenn ihr allerdings die Polizei als „alltäglichen Dienstleister“ fasst, dann müssten wir die Frage wohl etwas anders beantworten.

Trägt der*die Pizzabot*in ungeniert Thor Steinar?

Nein, wie überall anders auch werden diese Jobs auch hier überwiegend von prekarisierten Migrant*innen übernommen. Aber ohne „Yakuza“-Jogger, vollgefedertes Fahrrad und Runengürtel bist du halt nix in deinem Viertel.

Seht ihr euch als spezifisch ostdeutsche Antifas und was folgt daraus?

Wir brauchen wirklich niemandem hier die spezifische Kontinuität nazistischer Gewalt im Osten erklären – der NSU konnte hier folgerichtig gedeihen. In Ostdeutschland aktiv zu sein heißt, dass man recht schnell erkennt, dass man den Kampf für die befreite Gesellschaft nicht mit, sondern gegen „das Volk“ organisieren muss. D.h. also antifaschistische Arbeit richtet sich hier gegen die Masse der Bevölkerung, die sich zwischen Gleichgültigkeit, klammheimlicher Freude und aktivem Zuspruch für eine autoritär-faschistische Entwicklung zeigt. Wenn also irgendwo irgendwelche Roten die Masse des Volkes adressieren, wird man generell und im Speziellen in Ostdeutschland entweder scheitern oder den MakksDamage machen müssen. Weil es sich bei dieser Masse des Volkes nämlich um ein Mordkollektiv im Wartezustand handelt, bringen die Worte unserer Südthüringer Genoss*innen die Notwendigkeit negatorischer, antagonistischer Politik auf den Punkt: „Dieser Antifaschismus ist antideutsch, oder er hat seinen Gegenstand nicht begriffen.“ Wenn das spezifisch ostdeutsch ist, dann nehmen wir uns dessen an.

Würdet ihr bundesweite Kampagnen mit einem spezifischen Fokus auf ostdeutsche Zustände sinnvoll finden?

Es gibt solche Ansätze bereits, wie das Bündnis „Irgendwo in Deutschland“ in den vergangenen Jahren gezeigt hat. Ansonsten brauchen vor allem Strukturen im ländlichen Raum immer Kohle. Wenn es aber darum geht, dass Linke für eine Einheitsfront und eine weitere Selbstverharmlosung der Radikalen Linken ‚intervenieren‘ wollen, dann bleibt doch bitte lieber zu Hause! “Wir sind nicht mehr” und nirgendwo ist das eine größere Lüge als hier. Oft wäre uns also eher geholfen, wenn die Genoss*innen sich mal einen zeitgemäßen Begriff von der Gesellschaft machten, statt mit “alle Zusammen gegen den Faschismus“ für diejenigen zu trommeln, die für Verhältnisse werben, die eben jenen hervorbringen.

Stichwort antifaschistische Vernetzung. Habt ihr Kontakt zu westdeutschen Gruppen und nehmt ihr unterschiedliche Perspektiven wahr?

Aufgrund unterschiedlicher historischer und gesellschaftlicher Erfahrungen gibt es in der BRD einfach zwei Linke Szenen, die ostdeutsche und die westdeutsche, was weder drüben, noch in hiesigen Studi-Szenestädten reflektiert wird. Wenn die alltägliche Begegnung mit Nazis Teil der eigenen Lebensrealität ist, kommt man auch nicht in den blinden Aktionismus, bei jedem durch die Stadt laufenden Fascho eine Demo zu organisieren, „um den Faschismus aufzuhalten“ – das entspannt bisweilen auch. Ansonsten haben wir bisweilen viel Kontakt mit westdeutschen Gruppen hier in Thüringen, bei denen man stark das Gefühl hat hier wird ein Zivilgesellschaftsmanagement für den Lebenslauf geübt.

Wie funktioniert Bündnisarbeit in Thüringen? Seid ihr über jede Person froh, die sich offen den Faschos entgegenstellt oder haltet ihr die „Verzivilgesellschaftung“ der Radikalen Linken für gefährlich?

Bürgerliche Antifaschist*innen hassen uns mehr als wir Sie. Als “irrelevante Nörgler” sind oft weder wir, noch unsere Kritik willkommen. Wir selbst sind aber froh über jede Person, die sich den Faschos entgegen (bzw. sich eher grimmig daneben) stellt. Bei so einigen demokratiewütigen “Antifaschist*innen” wäre es wohl trotzdem besser, wenn sie uns Arbeit und Aufregung ersparen würden, indem sie einfach nur keine Nazis wären und sich ansonsten aus der politischen Landschaft heraushalten würden. Offensichtlich wollen sie ja nur ihr eigenes Gewissen beruhigen, statt ihren antifaschistischen Selbstanspruch einzulösen.

Wenn ihr auf eure eigenen Biografien schaut, könnt ihr bestimmte Momente festmachten, die euch politisiert haben? Sind diese Erfahrungen und Erlebnisse auf heute übertragbar?

Es gibt in unserer Gruppe eine generationelle Zweiteilung. Wenn man sich jede Woche als Punk auf dem Dorf mit den Nazis um einen Platz im letzten Bus nach Hause schlagen muss und das in deinem Dorf niemanden interessiert, prägt das ziemlich. Diese Erfahrungen wurden früher häufiger gemacht und führten zur Existenz einer breiten, antagonistischen Antifa-Bewegung, die es heute schlicht nicht mehr gibt und wohl auch nicht mehr geben kann. Jüngere, und häufig westdeutsche Genoss*innen sind eher durch biographische Zufälle politisiert worden. Oft hat die Banalität und Oberflächlichkeit zivilgesellschaftlicher Orgas bei ihnen zur Entfaltung einer Leidenschaft an Kritik, antagonistischer und auch direkter Politik ausgelöst. Uns eint die Einsicht, dass es eine gemeinsame Organisierung braucht. Sei es, um sich mithilfe des theoretischen Rüstzeugs der Gesellschaftskritik zu streiten, dem rassistischen Mob entgegenzutreten, Neonazis an ihrer potenziell tödlichen Gewalt zu hindern oder einfach, um in der gesellschaftlichen Kälte der Vereinzelung und Entfremdung einen Funken Hoffnung auf ein besseres Morgen zu bewahren.

Ist ein Instagram-Post politischer Aktivismus?

Wir finden die Frage dumm – ist Kalender-Lesen Aktivismus? Ohne politische Organisierung bringt das jedenfalls alles nichts. Beides ist zumindest nicht notwendigerweise politischer als die sonstige Feel-Good-Werkelei, die die Leute sonst gern machen, wie Radeln gegen Rechts, Müll-Essen fürs Klima oder Menschenketten für den Frieden…

In den Neubaugebieten Erfurt-Südost macht sich seit Jahren der III. Weg breit. Es kam zu Antifa- Interventionen und Punktsiegen in der Wagensportliga. Was haltet ihr für gefährlicher: Strukturen wie den III. Weg und die Freien Kameradschaften von früher oder die Institutionalisierung des Rechtsextremismus durch die AfD?

Wir leben (falls man das so nennen kann) in einer arbeitsteiligen Gesellschaft. An der Bushalte wird man nach wie vor am ehesten von Faschos verkloppt, aus Kameradschaften kommen die aber seltenst – eher aus dem Rewe gegenüber. Deren merklich vergrößerter Bewegungsspielraum geht auf die Hegemonialwerdung rechtsextremer Positionen durch die AfD zurück, auch wenn ihre eigenen Strukturen dadurch eher geschwächt wurden. Möglich wurde dies aber nur in einem gesellschaftlichen Klima, in dem die farblosen Facetten der Einheitspartei von Linker bis CDU versuchen die Völkischen im Kulturkampf zu schlagen. ‚Gestritten‘ wird dann gemeinsam über die Tiefe von wirklich fairem Lohn oder über die Verwertbarkeit der zu bloßem Menschenmaterial degradierten Geflüchteten. Richtig trostlos wirds dann mit einer Radikalen Linken, die – obgleich ihrer Irrelevanz – lieber ein Weimarer-Republik-LARP betreibt, um sich in der Volksfront selber auszuschalten. Gefährlich ist die Permanenz dieser Tristesse.

kann klassische Antifa-Arbeit (Demos, Recherche, Outings, Interventionen) noch eine adäquate Antwort auf die herrschenden Zustände sein?

Wer meint denn, das helfe gegen die herrschenden Zustände? Punktuell hilft es immer, Neonazis einzuschränken oder an ihrem Handeln zu hindern. Dass man mit dem Abarbeiten an einzelnen Trauergestalten jedoch nicht sehr weit kommt, ist auch klar.

Wer bei der reinen Aufklärung und Anti-Nazi-Aktionen stehen bleibt, macht sich zum Instrument der herrschenden Zustände und gibt diesen lediglich einen moralischen Anstrich. Bekannt sein könnte das eigentlich seit dem berüchtigten “Aufstand der Anständigen” Ende der 1990er Jahren. Anstelle eines blinden Aktionismus braucht es immer auch eine Kritik der Naziideologie als eine regressive Form der bürgerlichen Ideologie. Auch die vermeintlich besonders radikale Sportgruppe ist sonst kaum mehr als eine krude Form der sozialen Arbeit – nur eben mit Faustschlagpädagogik statt Glatzenstreicheln im Jugendzentrum – was wir uns aber durchaus öfter wünschen würden als es vorkommt. Es ist doch evident, dass – entgegen ihrer medialen Ästhetisierung – klassische Antifa-Arbeit noch schneller ausstirbt als radikale Gesellschaftskritik.

Kurze grundsätzliche Frage am Rande: Ab wann darf eigentlich geschossen werden?

So weit wir das überblicken können, sobald die BodyCam ausgeschaltet wurde. Wobei es natürlich vorteilhaft ist, wenn das Ziel arm, migrantisch oder wenigstens links ist, damit es in der deutschen Öffentlichkeit auch als hinreichend gemeingefährlich gilt. Falls die Frage anders gemeint ist: Bei den sinnlosen Schüssen auf irgendwelche Charakermasken stirbt ja leider nicht das Kapital, sondern ein Mensch – auch wenn sich unser Mitleid bisweilen stark in Grenzen hielte. Generell würden wir auch taktisch von irgendwelchen insurrektionalistischen Experimenten abraten und wir müssen auch nicht so tun, als wäre in der Radikalen Linken eine relevante Anzahl an Waffen versteckt.

Antifa ist eine von Männlichkeit geprägte Struktur. Was sind für euch als Gruppe (konkrete) Ansatzpunkte dem entgegenzuwirken?

Angesichts der Reautonomisierungstendenzen in der Radikalen Linken ist darauf verweisen, dass bereits die gemeinsame Organisation und damit geteilte Verantwortungsübernahme zum Abbau und zur Reflektion patriarchaler Strukturen führt, sofern sie unter feministischen Vorzeichen geschieht. Dass Antifaschismus auch Feminismus bedeuten muss, setzen wir als Grundlage unserer politischen Arbeit voraus, daher fordern wir die selbstkritische Auseinandersetzung als Bedingung gemeinsamer Arbeit auch immer wieder ein. Ob eine weitere kritische Männerrunde – in der entweder darauf beharrt wird, dass man ja nicht so schlimm sei wie andere Männer oder in der die Debatte über strukturelle Ebenen die Aufdeckung individuellen Fehlverhaltens blockiert – die geschlechtsbezogene Exklusivität antifaschistischer Strukturen abbaut, bleibt fraglich… Auch deshalb lässt sich unsere kritische Männlichkeitspraxis nur als permanenter Prozess des Scheiterns beschreiben und zugegebenermaßen stoßen wir öfter als uns lieb sein sollte auf vermeintliche Grenzen.

Westdeutsche Antifas machen mittlerweile oftmals schweren Herzens ihr Kreuzchen bei der Linkspartei, habt ihr eine andere Perspektive auf den Rechtsnachfolger der SED?

Nein. Wer das macht, soll es tun, ohne daraus einen Akt zu machen. Dass man mit Nicht-Wählen der Herrschaft ein Schnippchen schlägt, glauben ja auch nur Anarchist*innen. In Thüringen stellt die Linkspartei seit 2014 die stärkste Partei in der Regierungskoalition mit SPD und Grünen. Weder wurde eine Mauer gebaut, noch wurde probiert, an den ökonomischen Grundfesten dieser Gesellschaft zu rütteln. Wer das eine oder andere erwartet hat, dem kann man nicht mehr helfen. Ein paar Brotkrumen in Form eines neuen Feiertags hat uns die linke Regierung trotzdem vergönnt – und natürlich ist die Linkspartei auch ein wichtiges Finanzierungsvehikel verbliebener Staatskritik.

Worin seht ihr als Gruppe eure Aufgabe in den nächsten Jahren?

Aus der historischen Rückschau ist klar, dass die antiautoritäre Radikale Linke sich seit Jahren in einem Prozess des Dahinsiechens befindet und ihre marginale gesellschaftliche Interventionsfähigkeit schon lange verloren hat. Üblicherweise stellt man sich dann – in der Hoffnung, noch irgendwen erreichen zu können – hinter die inhaltsleersten Forderungen und imitiert eine sozialdemokratische Zivilgesellschaft, nachdem diese in der Postdemokratie geschluckt wurde. Wir halten es stattdessen für angebracht, das Eingeständnis eigener Wirkungslosigkeit als Ausgangspunkt zu nehmen, um eine langfristige kommunistische Perspektive überhaupt erst entwickeln zu können. Wenn aufgrund radikaler Kritik als Praxis die befreite Gesellschaft zukünftig zumindest denkbar bliebe und wir als Maulwurf dazu beitragen, ohne selbst auszusterben, wäre das schon einiges wert. Zuversichtlich blicken wir nicht in die Zukunft.